Augenzeugen 40 Jahre später
ehemalige Kinder erinnern sich
Ich wohne im Dorf Skierbieszow, heiße Waclawa Kropornicka und war 14 Jahre alt. Am 27. November kamen die Nachbarn zu uns und sagten, dass eine Aussiedlung bevorstehe. Alle waren überrascht, aber nach einer langen Diskussion sagte die Mutter, dass wir doch bleiben, dass wir nicht fliehen werden. So blieben wir. Alle gingen auseinander. Wir legten uns schlafen, aber die Mutter packte schon alle Sachen zusammen.
In der Nacht hörte man die Autos und dann hat uns unsere Mutter geweckt. Wir zogen uns an und warteten einen Moment.
Alles wurde still. In dieser Zeit umzingelten sie unser Dorf.
Nach einiger Zeit, um 3 oder 4 Uhr, krachte und trampelte es gegen die Tür „Aufstehen! Aufstehen!"
Der Vater raffte sich auf - er war schon angezogen - und ging in die Diele, die Tür zu öffnen. In diesem Moment bekam er einen Schlag mit einem Kolben auf die Brust. Sie befahlen uns, wegzugehen. Sie gaben uns nur 15 Minuten Zeit. Und in der Eile - wir waren ja schon angezogen - nahm jeder, was er konnte. Meine Schwester eine Puppe und ein Bündel. Ich ein Buch und noch etwas, was gerade zur Hand war. Die Großmutter ein Federbettchen oder ein Kopfkissen. Meine Mutter Zwieback, so ein trockenes Brot, der Vater - in eine Plane gewickelt -Bettzeug und verschiedene Sachen zum Anziehen.
Wir wurden zur Schule getrieben. Neben der Schule warteten auf uns Fuhrwerke. Wir wurden auf die Fuhrwerke aufgeladen und fuhren in Richtung Zamość. Unterwegs saß neben mir meine Freundin und wir unterhielten uns, und ich sagte zu ihr: ,,Weißt du was? Das ist toll, dass sie uns aussiedeln, so werden wir endlich einmal mit dem Zug fahren!" Wir wussten nicht, was uns erwartete. Unterwegs, schon in 'Debowiec, begegneten wir den deutschen Familien, die in Richtung Skierbieszow fuhren und unser Gebiet besiedeln sollten.
Wir kamen nach Zamość in ein Häftlingslager. Die Bedingungen dort waren schrecklich.
Ich heiße Antoni Saykiewicz und war 1942 neun Jahre alt. Unsere Familie wurde - wie viele andere auch - in das Konzentrationslager nach Zamość gebracht. Das war im Herbst 1942. Im Lager wurden die Männer in eine andere Baracke geführt und von den Frauen und Kindern getrennt. Wahrscheinlich wurden sie zur Zwangsarbeit nach Deutschland geschickt. Die Großmütter, Kinder und Mütter dagegen drängte man in der Baracke Nr. 10 zusammen, die sehr lang war - ungefähr 100 m - ziemlich hoch und primitiv gebaut, undicht zusammengehauen mit schweren Brettern, mit denen man früher Dorfscheunen zimmerte.
Der Winter 1942/43 war sehr kalt. Wir froren in dieser Baracke so sehr, dass den Kindern Finger und Zehen erfroren. Einmal alle paar Tage brachte jemand aus irgendeiner sogenannten Küche einen Kessel Kohlrübensuppe. Wir hatten kein Geschirr, nur Löffel. Manchmal gab es auch Brot, 20 Gramm, es war einfach nur ein Bissen und das auch nur alle paar Tage. Wir litten an schrecklichem Hunger und furchtbarer Kälte. Es gab kein Wasser. Keiner wusch sich, keiner hatte etwas zu trinken. Wenn jemand trinken wollte, nahm er Schnee in den Mund und löschte so seinen Durst.
Außer dem furchtbaren Hunger und der Kälte gab es Morgenappelle, die stundenlang dauerten und das oft bei 30 Grad unter Null.
Jedes von uns Kindern war krank, hatte Fieber; wir konnten nicht mehr stehen. Wir lagen auf einem Haufen zusammengelegt, ein Soldat verlas die Anwesenheitsliste, und der Dolmetscher übersetzte durch ein Sprachrohr, wer anwesend ist, und jemand von den Älteren antwortete, denn die Kinder waren dazu nicht mehr imstande. Alle mussten da sein, ob lebendig oder tot.
Jeden Morgen fuhr ein Fuhrwerk vor die Baracke mit einer großen Kiste, in die man die verhungerten und erfrorenen Kinder warf und brachte sie weg - ich weiß nicht wohin. Die Älteren sagten, dass man sie wegschafft, in Gräber wirft und mit Kalk und Erde zuschüttet. Andere meinten, dass man die Leichen in einem Krematorium verbrenne.
Als ich 22 Jahre alt war, wurden wir mit meinem Mann und dem 7 Monate alten Kind ausgesiedelt. Man brachte uns hinter den Stacheldraht nach Zamość. Wir wurden für die Zwangsarbeit nach Deutschland eingeteilt.
Es kam der Augenblick, wo sie uns die Kinder wegnehmen sollten. Ich weinte sehr. Ich konnte da nicht einwilligen. Mein Mann ging zu dem Deutschen und bat ihn, es zu erlauben, dass ich bei dem Kind bleiben kann und er allein wegfährt. Der Deutsche nahm eine Pistole heraus und schlug meinen Mann auf den Kopf. Er fiel um. Ich habe auch sehr laut geschrien; er schubste mich mit dem Kind auf den Ofen. Ich fiel um, ließ das Kind los. Wer das Kind genommen hat, wusste ich nicht. Dann haben sie uns weggebracht. Ich wusste nicht, ob das Kind noch lebt oder nicht.
Sohn: Und der Sohn war ich.
Ich heiße Marianna Socha. 1942 war ich 13 Jahre alt. Sie fuhren uns zur Rübenrampe in Zamosc. Dort lud man uns um in Güterwaggons. Man lud so viele von uns ein, wie nur irgendwie reingingen. Wir waren so dicht zusammengedrängt, dass wir nicht sitzen konnten. Außerdem gab es auch gar nichts zum Sitzen, nur den Fußboden. Der Zug fuhr sehr langsam und hielt oft an. Wir wussten nicht, wo der Zug stehenblieb, ob im Feld oder auf dem Bahnhof. Es war nicht möglich, etwas zu sehen.
Wir wussten schon, dass wir nicht frei sind, dass wir das alles irgendwie aushalten müssen, diesen Durst und Hunger. Man hat die Waggons geöffnet, und die Deutschen sind durchgegangen und haben gefragt, ob es Leichen im Waggon gäbe oder Kranke.
Wir hatten schon die Zeitrechnung verloren. Wir wussten nicht mehr, wie lange wir schon gefahren sind und welcher Tag es war. Wir waren schon alle hungrig und durstig. Die Vorräte, die wir mithatten, waren schon längst verbraucht. Wir hatten nichts mehr zu essen.
Wir wussten nicht, ob wir in dieselbe Richtung fuhren oder zurück.
Es war Ende Januar oder Anfang Februar, als wir erfuhren, dass außerhalb der Bahnstation Waggons mit Menschen stehen. Wir wussten bereits, dass es die Ausgesiedelten aus der Zamość-Gegend waren.Gegen drei Uhr nachmittags - die Sonne ging schon unter - ging eine größere Gruppe von uns über die Felder zu diesen Waggons. Der Schnee war sehr hoch, so zuckerartig. Wir sackten ein, weil wir doch keine hohen Schuhe trugen. Wir sahen dort eine Gruppe von Beamten, die Bretter einrissen und ganze Haufen von irgendetwas herauszogen, von dem man schwer sagen konnte, was es ist - ob Menschen oder Lumpenhaufen.
Es stellte sich heraus, dass es Kinder waren, die Kinder der Zamość-Gegend. Dann wurde die Gruppe größer, durch Leute, die von überall herkamen. Wir teilten die Gruppe und reichten die Kinder weiter bis zum Krankenhaus.
Die Bahnbeamten hatten so einen Wagen, der wohl aus Fahrrädern zusammengebaut war. Die Arbeit war schwer. Man konnte es kaum länger als zwei, drei, vier Stunden aushalten, denn bis zum Krankenhaus waren es über zwei Kilometer. Die Kinder wurden im Krankenhaus untergebracht, aber es gab keine Betten, keine Räume. Die Kinder lagen auf dem Korridor. Die Leute brachten Stroh und die Kinder wurden daraufgelegt.
Diese Kinder sahen schrecklich aus. Ich erinnere mich, wie ein elfjähriger Junge weinte, die Tränen erfroren in den Augen, sie sahen wie Eisklumpen im Gesicht aus. Er schrie nur 'Mama'.
Als wir sie in die Arme nahmen, waren es verfrorene, blaue Körper. Es war schwer zu erkennen, wo die Arme sind, manche hatten abgebissene Fingerchen. Ich weiß nicht, ob vor Hunger oder aus Schmerz.
Die toten Kinder brachte man gleich in die Leichenhalle, die Lebenden wurden auf die Räume und Flure verteilt.