Im Tal der Kalash

Eine geheimnisvolle Kultur am Hindukusch

Die Kalash sind die letzten Überlebenden der afghanischen Kafiren, der "Ungläubigen". Nur noch 4.500 existieren von ihnen. Sie haben sich in die Gebirgswelt des Hindukusch zurückgezogen und leben im Norden des heutigen Pakistan, direkt an der Grenze zu Afghanistan. Durch die Isolation haben sie ihre geheimnisvolle Kultur und ihr archaisches Weltbild über Jahrtausende hinweg bewahrt. Auch ihre Religion ist voller Rätsel: eine Schöpfer-Gottheit, Khodai, ist so erhaben, dass sie noch nicht einmal angebetet werden kann. So hat sich eine Welt von Feen und Dämonen und eine Vielzahl von Hilfsgöttern gebildet, die mehr Vertragspartner der Menschen sind als übersinnliche Wesen. An Altären mit hölzernen Pferdeköpfen, die an die Wikingerzeit erinnern, finden Opferrituale statt. Die Kalash sind ein Volk ohne Schriftsprache. Traditionshüter überliefern in Erzählungen und Gesängen ihre Geschichte.

Tagebuchaufzeichnungen 1987 - 1990

Kasi Kosnawas ist der Wächter der Traditionen, die er mündlich an die Nachfahren weitergibt. In Liedern, Erzählungen Mythen und Märchen erzählt er vom Leben der Kalash, von ihrer Verbundenheit mit ihrer Geschichte und der Natur. Er erlaubt uns teilhaben zu dürfen an ihrem Alltag und mit ihnen im Frühjahr das Joshi-Fest und im Herbst der Chaumos-Fest zu zelebrieren - und zu filmen.

Er erklärt uns: "Alles was ich weiß, habe ich gelernt als ich jung war. Ich half dem Vater eines sehr alten Weisen. Als Dank für meine Hilfe erhielt ich sein Wissen um die Tradition im Tal Rumbur.  Dann ging ich nach Bumburet, um auch dort von den Ältesten alles Wissen zu lernen und auch nach Birir ging ich allein, um deren Gesänge, Geschichten und Märchen zu erlernen. Heute bin ich einer der Ältesten im ganzen Kalashgebiet."
Hier erzählt er die Geschichte vom Wettstreit der Götter Balumain und Mahandeo, die in den 2. Film (Chaumos) eingeflossen ist.

Peshawar, PIA-Booking Office.
Für die North West Frontier Area ist nur dieser eine Schalter mit besonderen Öffnungszeiten zuständig. Der Raum ist überfüllt von wild aussehenden Gestalten. Eine Traube von Männern umringt den PIA-Beamten, Sie reden, wild gestikulierend, auf ihn ein, zeigen Papiere und Ausweise vor.  Der Beamte winkt ruhig ab.

Ein Telefonanruf - drei Namen werden aufgerufen. Drei Männer drängen zum Schalter. Ihre Namen werden in eine Liste eingetragen. Händeschütteln, Umarmungen, Lachen, Freude: sie haben es geschafft! Einer der nächsten vier Flüge wird sie zurückbringen nach Chitral in ihre Heimat.

Zur Winterzeit sind die Bergstraßen völlig zugeschneit und es gibt nur eine Möglichkeit, dorthin zu gelangen: mit einer alten Propellermaschine der PIA. Sie fliegt nur dann, wenn die Windverhältnisse es zulassen, das Chitral-Tal zu durchfliegen. Also heißt es: warten, warten, warten.

Wir werden bevorzugt: Europäer, Filmleute. Wir haben ein schlechtes Gewissen, wie immer in solchen Situationen. Zwei amputierte Mudjahedin mit Holzstümpfen und Krücken können unseretwegen nicht mit. Zabiullah - unser "Kalash-Freund" hat drei Wochen gewartet. "Was sagt denn Deine Familie dazu, wenn Du solange wegbleibst?" "That's normal, that's life.", ist seine Antwort. Die drei Wochen verbrachte er im Hotel. Ein Glück für uns, sonst hätten wir ihn nicht getroffen und der Plan, ins Tal der Kalash zu fahren, wäre nie entstanden. Jedenfalls sind wir heilfroh, als wir die Tickets zur 'Winterinsel' Chitral in der Tasche haben. Selbst die Bemerkung des PIA-Officers: Eine planmäßige Rückreise kann ich nicht garantieren“ stört unsere Freude nicht.

Ich bin schon gespannt auf die Kalash, von denen Zabiullah uns so viel erzählt hat, u. a., dass sie immer noch nicht islamisiert sind. Ist das überhaupt möglich im islamischen Pakistan?
Ein Fahrer der pakistanischen Regierung erwartet uns am Flughafen. In einem schweren Jeep werden wir auf halsbrecherischen Gebirgspfaden in Richtung der Kalash-Täler gefahren. "Noch vor einigen Jahren mussten Fremde hier Gebietsgeld bezahlen, eine Art Wegezoll oder Eintrittsgeld", berichtet er uns. Doch seit in Afghanistan Krieg ist, kommt nur selten jemand hierher, denn heute benötigt man spezielle Ausweis- und Einreisepapiere für dieses Grenzgebiet.
Wir steigen um in einen pakistanischen Militärjeep. Er soll uns sicher über eine Straße bringen, die direkt neben dem reißendem Grenzfluss zu Afghanistan verläuft. Auf der anderen Seite flattern rote Fahnen: afghanische Militärbefestigungen. Der Fahrer reicht mir ein Fernrohr: drüben stehen vier afghanische Soldaten und beobachten uns ebenfalls durch ein Fernrohr. Wir sind froh, als wir ohne Zwischenfall aus ihrem Schussfeld sind.

Peshawar, Februar 1987, 6.oo morgens, Flughafenhalle: halboffen, dämmrig. Zwei große Rikschas haben uns abgesetzt. Vierschrötige Männer schleppen Kartons, Kisten, Koffer, Ballen, Körbe, Bettzeug ob die Maschine mit all dem Kram überhaupt vom Boden abheben kann?
Mehrmals kamen wir in den vorabgegangenen Tagen vergeblich zum Flughafen. Der Pilot fliegt nur, wenn er ganz sicher sie ist, in Chitral landen zu können. Dazu muss es nahezu windstill sein und darf nicht regnen. Was für ein Flug! Klares Wetter: nach zehn Minuten haben wir bereits die ersten Gipfel hinter uns. Die kleine alte Propellermaschine schaukelt uns durch die Schneegipfel des Hindukusch, die bis 7700 m und mehr aufragen. In tiefeingeschnittenen Tälern ab und zu ein Haus, eine Hütte, Wo nicht überall auf der Welt Menschen wohnen!


Die kleine Volksgruppe der 3 - 4.ooo Kalash lebt im Grenzgebiet zu Afghanistan und hat sich der blutigen Islamisierung Ende des 19. Jahrhunderts, von der hauptsächlich die heutigen Nuristani betroffen waren (früher hießen sie Kafire = Ungläubige) entzogen. Noch 1960 war etwa die Hälfte der der Bewohner dieser Region nicht islamisiert, obwohl sie in der North-West Frontier Area der islamischen Republik Pakistans leben, der Provinz Chitral.

Die Natur trägt ihren Teil zu der Isolierung der Kalash bei: Ganz Chitral ist während der langen Wintermonate vom übrigen Pakistan abgetrennt und nur auf dem Luftwege zu erreichen. Die Kalash aber sind in ihren 3 Bergtälern besonders lange eingeschneit. 4 - 5 Wintermonate sind sie abgeschnitten, dann können die Bewohner nur unter großer Gefahr und Mühsal die "Großstadt" Chitral erreichen. Aber auch im Sommer sind viele Dörfer nur über gefährliche Ziegenpfade zu erreichen.

Unter starken Regen- oder Schneefälle stürzen die schmalen Schotterstraßen die sogenannten "Jeep - able -roads" hin und wieder in die Tiefe. Als das auf einer unserer Reisen passiert, sind wir überglücklich und dankbar, dass unser Fahrer den Abgrund frühzeitig bemerkt und stehen bleiben kann. Ohne Telefon, Funkgerät oder ähnliches erfahren die Männer in den Kalash Dörfern sehr schnell von dem Unglück und machen sich auf den Weg, um zu helfen. Unsere gesamten Film-Ton-und Fotoausrüstungen muss - neben unseren persönlichen Sachen - geschultert und zu Fuß ins Tal Bumbureit getragen werden. Dort werden wir schon neugierig erwartet.

Die Kalash verehren eine Schöpfergottheit. Sie opfern dem Gott des Krieges, des Weins und anderen Göttern und Göttinnen. Ihre Altäre stehen im Freien und sind oft mit Pferdeköpfen geschmückt.

Die Kalashgesellschaft gründet auf dem Prinzip des Gleichgewichts, der Balance. Für jede Schwäche, jeden Verlust gibt es einen Ausgleich. Nicht erst nach dem Tode - wie wir Christen es glauben - sondern sehr konkret schon zu Lebzeiten.
So schreibt die Sitte den Reichen vor, ihren Besitz freigebig zu verteilen. Denn nur mit verschwenderischen Festen, zu denen alle eingeladen sind und  die  zum Wohlergehen der Gemeinschaft beitragen, können sie ein Stück Unsterblichkeit erringen und  als Ahnen über den Tod hinaus teilhaben am Leben der Kalash.
Ein Tausch: Großzügigkeit gegen Unsterblichkeit.
Viele Familienfeste, vor allem aber das gemeinschaftliche Winterfest, sind geeignet, Großzügigkeit zu beweisen.

Mitglieder erblicher Priestersippen leiten die religiöse Riten. "Reine" Knaben (vor der Pubertät) assistieren ihnen als Gehilfen. Viele dieser Jungen werden heute durch den Schulbesuch an der Ausübung ihrer religiösen Pflichten gehindert, dafür lässt man an ihrer Stelle "reine" Mädchen agieren, denn deren Schulbesuch wird immer noch nicht für nötig befunden.

Von vielen religiösen Handlungen wie der Ziegenbetreuung  werden Frauen verschont, Ziegen gelten als "reine" Wesen. Der eurozentrische männliche Blick auf die bis dato fast nicht erforschte Kultur der Kalash spricht von der „Unreinheit der Frauen“. Ich selbst jedoch beobachte, dass gerade die Frauen in der Kalash-Gesellschaft sehr selbständig und als gleichwertig anerkannt sind. Fast habe ich das Gefühl, dass sich noch Reste eines ehemaligen Matriarcharts erhalten haben. Hier nur ein Beispiel: Die Frauen suchen sich ihren Ehemann selbst aus. Wenn sie einen neuen Liebhaber hat, kann sie sich von ihm trennen. Im allgemeinen wird das vom Mann auch ohne größere Probleme akzeptiert. Oft bleiben die Frauen auch nach der Hochzeit im Haus ihrer Mutter. Ihr Ehemann schaut nur ab und zu vorbei, lebt aber nicht täglich mit ihr und ihren Kindern zusammen.

Unterhalb der Dörfern am reißenden Gebirgsfluss sind Mutterschaftshäuser errichtet, die Baschali. Hier gebären Frauen ihre Kinder unter fachfraulicher Obhut. Auch die Tage der monatlichen Menstruation verbringen sie im Baschali – alle 4 Wochen eine Woche frei von der Feldarbeit, der Hausarbeit, den vielen sonstigen Verpflichtungen! Im Baschali erlebe ich sehr entspannte,  fröhliche Frauen und Kinder.

Die 3 - 4.ooo Kalash beherrschten - eigenen Erzählungen zu Folge - früher große Teile von Chitral, wurden dann aber schrittweise von den Khowar-Sprechern (den Chitrali) in ihre heutigen Rückzugstäler Rumbur, Bumboret und Birir zurückgedrängt.

Die Bauweise ihrer Dörfer und Häuser unterscheidet sich grundlegend von der der Pakistaner.

Die Häuser sind aus Holz und terrassenförmig übereinander angelegt. Das Dach des oberen Hauses dient dem unteren als Trockenplatz, Veranda, Ruhezone. Galerien und Leitern verbinden sie miteinander. Bevorzugt werden die Hanglagen an schwer zugänglichen Felswänden, oft viele hundert Meter über der Talsohle. Wie Schwalbennester drängen sich die Häuser auf der Spitze eines hohen Felsens oder eines unwegsamen Grats zusammen. So gleichen die Dörfer mehr Festungen als normalen Behausungen.

Ein eingekerbter Baumstamm oder eine schmale Brücke verbindet das Dorf mit dem gegenüberliegenden Hang. Wird die Leiter weggezogen oder die Brücke zerstört, ist das Dorf vollständig abgeschnitten. Diese ausgesprochenen Schutzlagen waren notwendig geworden wegen der vielen Kämpfe gegen die feindlichen islamischen Stämme.

Ihre Hauptbeschäftigung ist es, die Weidetiere (meist Ziegen) auf bis zu 3.ooo m hoch gelegene Almen zu treiben, sie dort zu hüten, vor Raub zu schützen und die Milchprodukte herzustellen. Diese sind die Hauptnahrung für die harten Wintermonate.
Die Männer konstruieren und reparieren schon seit Jahrhunderten ein weit verzweigtes Bewässerungssystem für die an den Hängen liegenden Weizenfelder. 
Die weiteren Aufgabengebiete der Männer sind der Häuser- und Möbelbau, die Jagd und der Schutz des Dorfes vor Überfällen, die weiterhin stattfinden – zumal sich die Dörfer heute im Grenzgebiet zum kriegführenden Afghanistan befinden.  Auch das Holz sammeln, das zum Kochen und Heizen benötigt wird, gehört zu ihren Pflichten. Da die pakistanische Regierung verbietet, im Gebiet der Kalash Bäume zu fällen, sind die Kalash darauf angewiesen fürs Kochen Reisig herbeizuschaffen, das meist von weither geholt werden muss. Oft wird es mit Seil­- Konstruktionen über tiefe Schluchten gezogen und mit Hilfe der Tiere und Menschen dann nach Hause transportiert.

Saifullah Jan, der Sprecher der Kalash, hat dieses Jahr begonnen, vom pakistanischen Staat die Rückübereignung ihrer zahlreichen Walnussbäume und riesigen Weideplätze (für ihre Ziegen) zu fordern, die sich der Provinz-Fürst von Chitral in den zurückliegenden Jahren einverleibt hat.

 

Sie nehmen heute eine untergeordnete Stellung ein, was wahrscheinlich mit dem sich ausbreitendem Islamischen Glauben begründet werden kann. Zu den Pflichten der Frauen gehört die Arbeit im Haushalt aber auch die Bewässerung der Weizenfelder. Sie leiten täglich das Wasser aus den Rinnen des Bewässerungssystems auf die Weizenfelder.
Die Kinder helfen den Müttern bei der Arbeit. Sie verscheuchen die Vögel aus den Getreidefeldern, sammeln Waldfrüchte und spalten das Brennholz für den täglichen Hausbedarf. Überhaupt übernehmen Jungen und Mädchen sehr früh Verantwortung für sich selbst, jüngere Geschwister und die Alten.

Die Frauen sorgen auch für die Kleidung. Ihre Kleider sind aus viel schwarzem Stoff, der mit grünen, gelben und roten Fäden bestickt wird. In der Taille wird die Fülle von Stoff mit einem breiten gewebten Band gehalten, so dass vor der Brust ein Beutel entsteht, in den sie alles mögliche hineinlegen können - angefangen von Beeren, Früchten aber auch kleine Hölzer etc. Sie brauchen daher keine zusätzlichen Taschen, haben beide Hände frei für ihre Arbeit auf dem Feld, im Haus und mit den Kindern.
Aus weißen Kauris-Schnecken und roten Korallen stellen sie den typischen Kopfschmuck her, die Kupaz, den sie selbst bei der Feldarbeit tragen. Auf dem Kopf gehalten wird er mit Hilfe des Schuschut, der ebenfalls mit Kauris und roten Perlen geschmückt ist.
Viele rote Perlenketten - früher waren es Korallen - verdeutlichen Ansehen und Wohlstand - je mehr Ketten eine Frau um den Hals trägt, desto höher ist ihr Prestige in der Kalash Gesellschaft.

Für die Männer weben sie schmale Schmuck-oder Glücksbänder, die ihnen als Auszeichnung für besondere Leistungen oder als Dankeschön für eine gute Tat um den Hals gelegt werden. Im Alltag tragen sie den typischen moslemischen Shalwar Kameez (weite Hosen und Hemden) und als Kopfbedeckung den Pakol - ähnlich einer Baskenmütze.

Ich wundere mich, warum nur die Frauen täglich die traditionelle Kleidung - bis auf den schweren Kopfschmuck, die Kupaz - tragen, die Männer jedoch komplett moslemisch angezogen sind. Sie erklären es damit, dass sie sich in ihren Kleidern sehr schön finden und sie nicht unter der Verschleierung der Moslems "verschwinden" wollen.

 

Die Kalash haben einen ausgeprägten Familiensinn und feiern das Leben. Auch die islamischen Mullahs können die Tanzliebe der Kalash nicht ausrotten. Männer und Frauen lassen sich, selbst wenn sie zum Islam übergetreten sind, ihre Lebensfreude nicht nehmen: sie bauen Wein an, keltern ihn und trinken ihn auch, was den Mohammedanern streng verboten ist. Auch essen sie das "unreine" Bären- und Wildschweinfleisch.
Einmal im Jahr während des Chaumosfestes – wenn die Männer von den Weideplätzen mit ihren Ziegen in die Dörfer zurückkehren – gilt die Grundsatz: „Keine Frau soll unfruchtbar bleiben.“

Dies alles toleriert die Göttin Djesta. Sie ist von größter Wichtigkeit in der Kalash-Gesellschaft und steht für die Vitalität des Volkes. Sie ist die Beschützerin der Familie und der Kinder. Sie ist zuständig für das Lebensalter, die Geburt, die Heirat und wacht über das Haus. In jeder Wohnstätte ist für sie ein eigener  Altar errichtet.

Darüber hinaus steht im Zentrum eines jeden Dorfes ein Djasta-Tempel, den auch die Frauen aufsuchen dürfen. Alle anderen Heiligtümer befinden sich unter freiem Himmel und sind nur für Männer zugänglich.

Der Djesta-Tempel ist ein quadratisches Haus mit schwerem Dach und hat oben eine Öffnung in Form einer Raute, durch die Licht einfällt und bei Opferungen Rauch abziehen kann. Die Eingangstür ist außen reich mit Schnitzereien verziert und an beiden Seiten mit je einem  Widderkopf geschmückt. Getragen wird das Dach von rechteckigen Säulen, versehen mit kunstvoll geschnitzten Ornamenten und gemalten Tieren. Auch innen beschützen zwei Pferdeköpfe die Anwesenden, angebracht an beiden Seiten des Eingangs.

 

Wieder auf dem Flughafen in Chitral. Hier warten wir Frauen getrennt von den Männern in einem kleinen "Extrasalon" auf unseren Rückflug nach Peshawar.

Kaum haben die moslemischen Frauen den Raum betreten, schlagen sie ihre tiefe Verschleierung zurück und ich kann ihnen ins Gesicht sehen. Auch sie mustern mich neugierig.
Besonders fällt mir eine junge Frau auf. Sie trägt schwere goldbestickte Kleider und Tränen laufen ihr über ihre zu stark geschminkten Wangen. Meine Nachbarin klärt mich auf: Die junge Frau ist Kalasha, 17 Jahre alt, heißt Sumri, stammt aus dem Birir-Tal und wurde vor ein paar Tagen verheiratet, mit einem "Fremden". "Er" ist aus dem fernen Peshawar und ist Pakistani. "Er" spricht nur Urdu, die Hauptsprache Pakistans. Wie soll Sumri mit ihm reden? Sie spricht nur Dschadidi, die Kalash-Sprache. Dazu noch ein paar Brocken Kkowat, die Sprache der Chitrali -- aber Urdu? Sumri weint jetzt, weil sie sich nicht vorstellen kann, in einem Stadthaus zu leben. Sie ist es gewöhnt, Tag für Tag, bei jedem Wetter, auf dem Felde zu arbeiten, Unverschleiert natürlich, denn der islamische Schleier konnte sich bis heute bei den Kalash-Frauen nicht durchsetzen.
Auch hat Sumri Angst vor der ersten Flugreise, die sie in ein unbekanntes, neues Leben bringen soll. Schon die Reise hierher, zum Flughafen von Chitral, war ein großes Abenteuer für sie - und jetzt sitzt sie hier ganz allein, getrennt von ihrem Ehemann, denn der wartet mit den anderen Männern im Nachbarraum.
Wir Frauen lächeln Sumri ab und zu aufmunternd an, versuchen sie zu trösten - doch Sumri weint und weint.

Erst im Flugzeug beruhigt sie sich etwas. Ihr Ehemann sitzt neben ihr und hin und wieder höre ich, wie er ihr die Namen der heimischen Berge ins Ohr flüstert.