Koproduktion: Deutschland und Sowjetunion

Wie viel Mitgefühl mit den sowjetischen Opfern darf sein?

Der Film „Steh auf, es ist Krieg“ ist die erste deutsche Koproduktion mit der Sowjetunion. Die deutsche Seite war vertreten durch unsere Firma Circe-Film-GmbH und dem SWF in Baden Baden, die Sowjetunion durch Nowosti, der größten Fernsehanstalt der UdSSR.

Der Film war vorgesehen für die Ausstrahlung im 1. Programm der ARD. Nach Fertigstellung des Films und der Abnahme hieß es plötzlich,  der Film werde nur in allen 3. Programmen der ARD-Anstalten ausgestrahlt.

Vorausgegangen war der vergebliche Kampf des leitenden SWF-Redakteurs Gustav-Adolf Bähr, die 6 teilige Dokumentarserie im Hauptprogramm der ARD zu plazieren.

Dazu Christian Hörburger in Funk-Korrespondenz 2.5.1991:
„Hier gab es vehementen Widerstand der Fernseh-Direktoren, die sich offensichtlich massiv und erfolgreich gegen einen angemessenen Sendeplatz sperrten. Allgemeine "Übersättigung durch die breite Kriegsberichterstattung seit der Golfkrise, lautete das dürftige ARD-Argument höheren Orts. Dem neuen Geist der vielbeschworenen europäischen Verständigung hätte der Beitrag ·aus der ersten Reihe" sicher gut angestanden. Die 3. Programme werden hier wieder einmal in die Bresche springen.“

Wie unerwünscht die Serie bei den obersten Entscheidungsträgern des öffentlich-rechtlichen Fernsehens war, zeigt der Umgang mit der Einladung zum Empfang in der sowjetischen Botschaft am 17. Juni 1991.

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Die Botschaft hatte die Einladungskarten an alle Sendeanstalten geschickt, damit diese sie an interessierte Redakteure und Pressevertreter weiterreichen.
Unsere Produktionsfirma Circe-Film erhielt ebenfalls ein stattliches Kontogent. Ich selbst versandte sie mit einem persönlichen Anschreiben an alle Redakteure der verschiedensten Sendeanstalten, mit denen wir in den letzten Jahren zusammen gearbeitet hatten, so an den SWF in Baden Baden und Stuttgart, den SDR , den BR, den NDR etc.

Nun kam der – für uns - große Tag. Wir fuhren nach Bonn-Bad Godesberg und waren sehr aufgeregt. Ein Empfang extra für unseren Film! Wir fühlten und geehrt.

Groß war dann unsere Enttäuschung, dass von den Sendeanstalten so gut wie niemand gekommen war. Selbst „unser“ Sender in SWF in Baden Baden  war nicht vertreten.
Hochrangige Vertreter der UdSSR waren aus Moskau und anderen Städten angereist – von deutscher Seite nur Hartmut Kaminski, ich und drei uns unbekannte Redakteure, darunter Herr Reschl von Stuttgart, mit dem wir dann die 4-teilige Dokumentation „Stalin“ produzierten.

Was war passiert? Uns speiste man mit der Erklärung ab, die Post hätte ihre Empfänger nicht erreicht. Wie kann das sein bei zweifach verschickten Einladungen?

Die Konkurrenz zwischen ZDF und ARD führte dazu, dass tatsächlich zwei Dokumentarreihen á 6 Folgen zum Thema „50 Jahre nach dem Überfall auf die Sowjetunion“ in Auftrag gegeben worden waren.
Schon die beiden Titel verweisen auf die unterschiedliche Herangehensweise.
„Steh auf, es ist Krieg“ erzählt aus der Perspektive der Überfallenen, die als Opfer viel Leid zu ertragen hatten aber auch als Partisanen energischen Widerstand leisteten.
Der andere Film „Der verdammte Krieg“  betont die Kriegsmaschinerie, die Schlachten und Taktiken der kriegführenden Deutschen. Kurz zusammen gefasst: Dieser Film thematisiert den Blickwinkel der Deutschen.

Christian Hörburger in Funkkorrespondenz 04.07.1991
... Die Dokumentaristen sind ihrem Material hoffnungslos erlegen. Sie können kaum noch eine kritische, abwägende und reflektierende Distanz einnehmen. Jedes Bild hat eben einen "verdammten" und damit letztlich auch von "oben" verhängten Krieg zu belegen. Krieg vor Moskau, Kalinin oder Stalinogorsk bedeutet in diesem Bombardement von - letztlich - unkommentierten Propagandamaterial nur den "Fluch" eines schrecklichen Verhängnisses. Der jeweilige Prolog der Serie macht dieses bedenkliche Mißverständnis überdeutlich: Hier wurde der Zuschauer eben kritiklos in die Propagandaemblematik eingelullt – „Les Préludes“ auf der einen, Kosaken-Choräle auf der anderen Seite. Krieg als Stimmungsereignis für die Bauchregion ist damit evoziert, der Verstand sogleich entlastet. Die folgende Blut- und Feuerschrift „Der verdammte Krieg“ (als sakrales optisches Triptychon gegliedert) macht die Aufarbeitung dann nochmals schwieriger....“

Kam der Film „Steh auf, es ist Krieg“ 1991 zu früh? Oder nahm er nur die falsche Perspektiv ein? Verdienen russische Opfer nicht die gleiche Anteilnahme wie die Geschundenen in den westlichen Ländern?

Fritz Wolf schreibt in der Zeitschrift epd Film am 01.06.1991:
Der blinde Fleck aber besteht immer noch. Immer noch sind in der Öffentlichkeit Oradour und Lidice als Orte größter Verbrechen bekannt. Wer aber weiß schon, daß allein in Weißrußland in 168 Dörfern ebensolche Massaker stattgefunden haben? Die Zerstörung Conventrys und Guernicas gehört zum allgemeinen Geschichtswissen, die von Minsk, Vitebsk und Smolensk nicht. Man weiß um das Warschauer Ghetto. Was wird gewußt über das Ghetto von Brest? Was über das Vernichtungslager von Trostenez, in dem 206.000 Menschen umkamen. Wo liegt das überhaupt?“